Die Rinder des Riesens Geryones


Bei Gustav Schwab ("Sagen des klassischen Altertums") lesen wir, wie Herakles die Rinder des Riesen Geryones fangen und zu Eurystheus bringen kann:
Als der Held das Wehrgehenk der Königin Hippolyta zu Eurystheus' Füßen niedergelegt hatte, gönnte dieser ihm keine Ruhe, sondern schickte ihn sogleich wieder aus, die Rinder des Riesen Geryones herbeizuschaffen. Dieser besaß auf der Insel Erythia, im Meerbusen von Gadira (Cadix), eine Herde schöner braunroter Rinder, die ein anderer Riese und ein zweiköpfiger Hund ihm hüteten. Geryones selbst war ungeheuer groß, hatte drei Leiber, drei Köpfe, sechs Arme und sechs Füße. Kein Erdensohn hatte sich je an ihn gewagt; Herakles sah wohl, wie viele Vorbereitungen dieses beschwerliche Unternehme erfordere.
Es war weltbekannt, daß des Geryones Vater, Chrysaor, der den Namen Goldschwert von seinem Reichtum hatte, Köing von ganz Iberien (Spanien) war, daß außer Geryones noch drei tapfere und riesige Söhne für ihn stritten und jeder Sohn ein zahlreiches Heer von streitbaren Männern unter seinem Befehle hatte. Eben darum hatte Eurystheus dem Herakles jene Arbeit aufgetragen, denn er hoffte, auf einem Kriegszug in ein solches Land werde er sein verhaßtes Leben doch endlich lassen müssen. Doch Herakles ging den Gefahren nicht erschrockener entgegen als allen seinen früheren Taten. Er sammelte seine Heere auf der Insel Kreta, die er von wilden Tieren befreit hatte, und landete zuerst in Libyen. ... Nach einer langen Wanderung ... gründete er eine Stadt von ungeheurer Größe und nannte sie Hekatompylos: Hunderttor. Zuletzt gelangte er an den Atlantlischen Ozean...; hier pflanzte er die beiden berühmten Heraklessäulen
[Anm.: Meerenge von Gibraltar] auf.
Die Sonne brannte entsetzlich, Herakles ertrug es nicht länger, er richtete seine Augen nach dem Himmel und drohte mit aufgehobenem Bogen, den Sonnengott niederzuschießen. Dieser bewunderte seinen Mut und lieh ihm, um weiter zu kommen, die goldne Schale, in welcher der Sonnengott selbst seinen nächtlichen Weg vom Niedergange bis zum Aufgange zurücklegt. Auf dieser fuhr Herakles mit seiner nebenher segelnden Flotte nach Iberien hinüber.
Hier fand er die drei Söhne des Chrysaor mit drei großen Heeren, einen nicht weit vom andern gelagert; er aber tötete die Anführer alle im Zweikampfe und eroberte das Land. Dann kam er nach der Insel Erythia, wo Geryones mit seinen Herden hauste. Sobald der doppelköpfige Hund seine Ankunft innewurde, fuhr er auf ihn los; allein Herakles empfing ihn mit dem Knüttel, erschlug ihn und darauf auch den riesigen Rinderhirten, der dem Hunde zu Hilfe gekommen war. Dann eilte er mit den Rindern davon, aber Geryones holte ihn ein, und es kam zu einem schweren Kampfe.
Hera selbst erschien, dem Riesen beizustehen; doch Herakles schoß ihr einen Pfeil in die Brust, daß die Göttin verwundet entfliehen mußte. Auch der dreifache Leib des Reisen, der in der Gegend des Magens zusammenlief, fing hier den tödlichen Pfeil auf und mußte erliegen. ... Unter mancherlei Taten kam der Held nun glücklich über Italien, Illyrien und Thrakien nach Griechenland zurück und im Isthmus an.
SCHWAB, G. (1965); S. 129-130.



Quelle:
SCHWAB, G.
: Sagen des klassischen Altertums. München, Zürich: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., 1965; S. 112-148.