Die Hydra von Lerna


Vortrefflich beschreibt Gustav Schwab in den "Sagen des klassischen Altertums" den Kampf des Herakles mit der Hydra von Lerna:
Die zweite Arbeit des Helden war, die Hydra zu erlegen, die ebenfalls [wie der nemäische Löwe] eine Tochter des Typhon und der Echidna war. Diese, zu Argolis im Sumpfe von Lerna aufgewachsen, kam aufs Land heraus, zerriß die Herden und verwüstete das Feld. Dabei war sie unmäßig groß, eine Schlange mit neun Häuptern, von denen acht sterblich, das in der Mitte stehende aber unsterblich war.
Herakles ging auch diesem Kampfe mutig entgegen: er bestieg sofort einen Wagen; sein geliebter Neffe Jolaos, der Sohn seines Stiefbruders Iphikles, der lange Zeit sein unzertrenlicher Gefährte blieb, setzte sich als Rosselenker ihm an die Seite, und so ging es im Fluge Lerna zu. Endlich wurde die Hydra auf einem Hügel bei den Quellen der Amymone sichtbar, wo sich ihre Höhle befand. Hier ließ Jolaos die Pferde halten; Herakles sprang vom Wagen und zwang durch Schüsse mit brennenden Pfeilen die vielköpfige Schlange, ihren Schlupfwinkel zu verlassen. Sie kam zischend hervor, und ihre neun Hälse schwankten emporgerichtet auf dem Leibe wie die Äste eines Baumes im Sturm.
Herakles ging unerschrocken ihr entgegen, packte sie kräftig und hielt sie fest. Sie aber umschlang einen seiner Füße, ohne sich auf weitere Gegenwehr einzulassen. Nun fing er an, mit einem Sichelschwerte ihr die Köpfe abzuschlagen. Aber er konnte nicht zum Ziele kommen. War ein Haupt abgeschlagen, so wuchsen derer zwei hervor. Zugleich kam der Hydra ein Riesenkrebs zu Hilfe, der den Helden empfindlich in den Fuß kniff. Den tötete er jedoch mit der Keule und rief dann Jolaos zu Hilfe.
Dieser hatte schon eine Fackel gerüstet, zündete damit einen Teil des nahen Waldes an, und mit den Bränden überfuhr er die neuwachsenden Häupter der Schlange bei ihrem ersten Emporkeimen und hinderte sie so, hervorzutreiben. Auf diese Weise wurde der Held der emporwachsenden Köpfe Meister und schlug nun der Hydra auch das unsterbliche Haupt ab; dieses begrub er am Wege und wälzte einen schweren Stein darüber. Den Rumpf der Hydra spaltete er in zwei Teile, seine Pfeile aber tauchte er in ihr Blut, das giftig war. Seitdem schlug des Helden Geschoß unheilbare Wunden.
SCHWAB, G. (1965): S. 121-122.



Quelle:
SCHWAB, G.
: Sagen des klassischen Altertums. München, Zürich: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., 1965; S. 121-122.