Der kretische Stier


Gustav Schwabbeschreibt den Kampf mit dem kretischen Stier folgendermaßen:
Der König Minos in Kreta hatte dem Gotte Poseidon versprochen, ihm zu opfern, was zuerst aus dem Meere auftauchen würde, denn Minos hatte behauptet, daß er kein Tier besitze, das würdig sei, zu einem so hohen Opfer zu dienen. Darum ließ der Gott einen ausnehmend schönen Ochsen aus dem Meere aufsteigen; den König aber verleitete die herrliche Gestalt des Stieres, der sich seinen Blicken darbot, diesen heimlich unter seine Herden zu stecken und dem Poseidon einen andern als Opfer unterzuschieben. Hierüber erzürnt, hatte der Meergott zur Strafe den Stier rasend werden lassen, so daß er nun auf der Insel Kreta große Verwüstungen anrichtete. Diesen Stier zu bändigen und vor Eurystheus zu bringen, wurde dem Herakles als siebente Arbeit aufgetragen. Als er mit seinem Ansinnen nach Kreta und vor Minos kam, war dieser nicht wenig erfreut über die Aussicht, den Verderber der Insel loszuwerden, ja er half ihm selbst, das wütende Tier einzufangen, und die Heldenkraft des Herakles bändigte den rasenden Ochsen so gründlich, daß er sich von ihm auf dem ganzen Wege über die See wie von einem Schiffe nach dem Peloponnes tragen ließ. Mit dieser Arbeit war Eurystheus zufrieden, ließ jedoch das Tier, nachdem er es kurze Zeit mit Wohlgefallen betrachtet, sofort wieder frei. Als der Stier nicht mehr im Banne des Herakles war, kehrte seine alte Raserei zurück, er durchirrte ganz Lakonien und Arkadien, streifte über den Isthmus nach Marathon in Attika und verheerte hier das Land wie vordem auf der Insel Kreta. Erst dem Theseus gelang es später, Meister über ihn zu werden.
SCHWAB, G. (1965): S. 121-122.


Lange hat Herkules nie Ruhe. Nach dem Kampf mit dem kretischen Stier muss er sich mit zwei unartigen Knaben, Kerkopen [1], abplagen: Herakles schläft übermüdet ein, wird aber von den K[erkopen] mit konstanter Boshaftigkeit um den Schlaf gebracht und seiner Waffen beraubt. Als er sie eingefangen und kopfüber an einem Tragballen aufgehängt hat, läßt er sie wegen ihrer drolligen Scherze, die sich auf das Orakel ihrer Mutter beziehen, sie sollten sich vor dem Mann mit dem schwarzen Hintern (...Melampygou tychois) hüten, als den sie Herakles identifizieren, wieder laufen. .... Später verwandelt Zeus, den sie ebenfalls zu betrügen suchen, die K[erkopen] ... in Steine.
Aus: CANCIK, H. u. SCHNEIDER, H. (Hrsg.): Der Neue Pauly. Band 6. Stuttgart, Weimar, 1999; S. 445.

Inspiriert durch die Lektüre von Peter Hacks' "Der Mann mit dem schwärzlichen Hintern" dichtete Janet Giehl (Klasse 8b):

Die bösen Buben dachten,
man könne alle Leut´ verachten.
Sie trieben manche fiesen Streiche
und waren wie ´ne schlimme Seuche

Doch kam da Herakles hinzu
und lehrte eines bessren sie.
Er band den Buben deren Füße,
das war wahrhaftig keine Süße.
Über die Schulter hing er sie,
so dass keiner konnte fliehn.

Die Buben aber waren schlau,
sie riefen zu dem Helden: "Schau!
Ein jeder Held ein Lausbub war,
was immer auch danach geschah.

Das musst´nun freilich er gestehn
und ließ die Buben frei nun gehn."




Anmerkungen

[1] Die Bezeichnung Kerkopen (zu kerkos = Schwanz) bedeutet die "Geschwänzten" und wird auch als Schimpfwort verwendet.- Die Kerkopen sind die Söhne der Theia und des Okeanos, heißen u.a. Sillos und Tribalos.



Quellen: CANCIK, H. u. SCHNEIDER, H. (Hrsg.): Der Neue Pauly. Band 6. Stuttgart, Weimar, 1999; S. 445.
FINK, G.: Who's who in der antiken Mythologie. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1998 (7. Auflage), S. 129-135.
HACKS, P.: Der Mann mit dem schwärzlichen Hintern. Illustrationen v. Manfred Salow. Berlin: Der Kinderbuchverlag Berlin, 1980. HUNGER, H.: Lexikon der griechischen und römischen Mythologie mit Hinweisen auf das Fortwirken antiker Stoffe und Motive in der bildenden Kunst Literatur und Musik des Abendlandes bis zur Gegenwart. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt, 1974.
SCHWAB, G.: Sagen des klassischen Altertums. München, Zürich: Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., 1965; S. 112-148.